Diese Zeilen stammen von einer Lehrkraft, die über die Seite „Deine Stimme“ anonym ihre Stimme zum Ausdruck bringt. Wenn auch Du Deine Meinung, Deine Geschichte, Deine Gedanken zum Lehrerberuf anonym mit uns teilen willst, tue dies auf dieser Seite: Deine Stimme.
Hey Victoria!
Ich wollte meine Erlebnisse aus meiner halbjährlichen Referendariatszeit kundtun. Und was mich dazu bewegt hat, das Referendariat hinzuschmeißen.
Nach dem Studium war ich voller Motivation endlich in den Lehrerberuf einzusteigen. Ich hatte Ambitionen und eine ungefähre Vorstellung davon, was für eine Art Lehrer ich sein wollte. Die erste Zeit im Referendariat und speziell in den Seminaren waren eigentlich sehr schön. Ich war umgeben von Gleichgesinnten, die alle aufgeregt und voller Motivation in ihren Traumberuf starten wollten. Wir wurden mit Informationen, Terminen und Seminar-Inhalten überhäuft, die natürlich alle fein-säuberlich im frisch angeschafften Referendariatsplaner und den Notizbüchern notiert wurden. (Dies sollte noch lange nicht die letzte Anschaffung für die Schule sein, die aus eigener Tasche bezahlt werden musste). Und wir freuten uns auf unseren Einsatz in der neuen Schule. Als es endlich soweit war und ich in der Schule gestartet bin, fühlte ich mich wie in einen Ozean geschmissen, wo ich vorher das Schwimmen in einem Planschbecken gelernt habe, obwohl ich zuvor an der Schule als Honorarkraft tätig war und verschiedene Kurse angeboten hatte.
Mir wurden Mentorinnen zugeteilt, die zusammen gerade einmal 3 Stunden für mich teilen mussten. Jede Mentorin hatte also ca. 1,5 Std. die Woche Zeit für mich. Den Großteil musste ich also allein erarbeiten und herausfinden bzw. konnte auch immer mal wieder andere Kollegen befragen. Aber ständig war der Gedanke vorherrschend, dass man die anderen Kollegen mit seinen Anliegen belästigt. Teilweise wurde das durch Blicke und Reaktionen auch suggeriert. Die ersten Unterrichtsstunden habe ich in einer 4. Klasse unterrichtet, die gerade einen Klassen- und Fachlehrerwechsel durchmachten. Aber es war eine sehr aufgeschlossene Klasse, die mich herzlich empfangen hat. Mein größtes Problem hier, war die Unterrichtsplanung, die ich Zuhause allein auf die Beine stellen musste. Im gesamten Studium hat man zuvor vielleicht 10 Unterrichtsstunden entworfen und diese waren noch auf drei verschiedene Fächer verteilt. Von Unterrichtsplanung hatte ich demnach nur wenig Kenntnisse. Zudem wird im Referendariat eine andere Unterrichtsplanung erwartet, als es im Studium der Fall war. Dementsprechend wurde ich ins kalte Wasser geworfen und die ersten Stunden waren sehr Arbeitsblätter lastig.
Meine Mentorinnen habe ich in dem halben Jahr maximal fünf Mal in meinem Unterricht dabeigehabt und konnte nur drei Mal bei Ihnen zuschauen. Dies war auch dem Corona-Virus verschuldet, der das gesamte erste Halbjahr auch zu einer Durststrecke für Unterrichtserfahrungen machte.
Meine Mathematik-Mentorin ist ein ganz lieber Mensch, die allerdings auch ziemlich schwierige Erlebnisse an der Schule erlebt hatte. Dafür wurde sie im Kollegium auch harsch kritisiert und das habe ich ebenfalls mitbekommen. Ich habe gemerkt, wie es ihr von Tag zu Tag schlechter ging, bis sie nach den Sommerferien plötzlich nicht mehr zur Schule kam und in Behandlung war. Die Gründe hierfür wurden nicht offengelegt. Das setzte mir natürlich zu. Und es war nicht das erste Mal, dass ich schlechte Dinge über andere Kollegen und Kolleginnen im Lehrerzimmer gehört habe. Ein weiteres Beispiel wäre der Abschied unseres stellvertretenden Schulleiters, bei dem nach der Abschiedsrede noch getuschelt wurde, dass es besser sei, dass er geht. Und auch ich selbst habe es an meiner Person erfahren müssen. Kurz vor den Sommerferien hat mich die Klassenlehrerin der 4. Klasse beiseite genommen und mir bei einem Telefonat gesagt, wie ich im Kollegium ankomme. Ich bringe mich wohl nicht genug ein und die Schulleitung war auch nicht begeistert über meine Abschiedsrede für die 4. Klasse. Meine Sachunterrichtsmentorin hatte wohl auch Diskrepanzen mit meiner Arbeitshaltung. Ich muss gestehen, dass ich wirklich mehr Kontakt von mir aus hätte suchen müssen. Warum ich dies nicht tat, lag wohl an Versagensängsten. Die Angst davor meine Schwächen offen zu legen und dafür verurteilt zu werden. Das führte dazu, dass ich meiner Mentorin ganz kurzfristig von der bevorstehenden Hospitation berichtete und keine gemeinsame Planung stattfinden konnte. Daraufhin verschlechterte sich unser Verhältnis sehr und es viel mir schwer ihr in die Augen zu schauen.
In den Sommerferien beschäftigte ich mich stark mit den Aussagen der Klassenlehrerin und wollte mich ran setzen, sodass das nächste halbe Jahr besser wird. Zeitgleich bin ich jedoch auch von Zuhause ausgezogen, was meine mentale Situation später auch beinträchtigen sollte. Die ersten zwei Wochen der Sommerferien konnte ich mich mit dem Umzug und dem Aufbauen der Möbel von der Schule ablenken. Die Worte der Klassenlehrerin verdrängen und die Energie in andere Dinge umleiten. In der dritten Woche fingen jedoch die Gewissensbisse an, noch nichts für die Schule getan zu haben. Also setze ich mich ran und musste feststellen, dass ich fast wie gelähmt an der Unterrichtsplanung saß. Mir viel es unglaublich schwer auch nur ansatzweise Ideen aufzuschreiben. Zumal ich auch keine Ahnung hatte, wie der Anfangsunterricht in einer 1. Klasse in Mathe auszusehen hat und welche Klassenstufe ich an meiner Partnerschule unterrichten werde (Dies wurde mir kurz vor Schulbeginn dann mitgeteilt). Ich konnte lediglich für den Sachunterricht der 3. Klasse etwas auf die Beine stellen. Das, wie sich nachher herausstellte, nicht für die Lerngruppe geeignet war.
Es entwickelten sich Panikattacken und Schlafstörungen, je näher der Schulbeginn kam. Die Gedanken, dass ich schlecht bei meiner Mentorin dastehe, nichts auf die Beine gestellt bekommen habe über die Ferien, drei neue Lerngruppen bekomme, die ich nur wenig bis gar nicht kenne und mich quasi völlig allein fühle und selbst eine Lösung finden muss. Ich bemerkte sogar Gedanken, die ich sonst nie hatte. Zum Beispiel, dass es gut wäre, wenn ich jetzt einen Unfall hätte und nicht mehr zur Schule könnte und ähnliche Gedanken. Hier habe ich den Schlussstrich gezogen, da ich wusste, dass ich so nicht mehr weitermachen möchte und kann.
Ich hatte mir das vor Dienstbeginn noch ganz anders vorgestellt. Meine gesamten Ambitionen sind über Bord und ich wusste nicht mehr, weshalb ich diesen Beruf überhaupt noch machen wollte. Die Vorstellung daran, mein Leben lang so ausgelaugt zu sein und sich nach der Arbeit auch Zuhause den gesamten Tag Gedanken darüber zu machen, wie ich die nächsten Stunden gestalten soll. Ich hatte keine Zeit mehr für Freunde und all die Dinge, die mir sonst Spaß machten in meiner Freizeit. Wenn ich mir die Zeit für diese Dinge doch genommen habe, dann nur mit schlechtem Gewissen und andauernden Gedanken an die Arbeit.
Ich habe bisher nur einige der schulischen Aspekte beschrieben, die mir die Lehrerausbildung unmöglich machten. Neben all der Unterrichtsplanung und den Zwischenmenschlichen Beziehungen an der Schule kommt der zusätzliche Stress durch die Ausbildung hinzu. Es stehen Termine an, die es einzuhalten gilt, es sollen Prüfungen bzw. Hospitationen am besten schon Monate vorher geplant werden, obwohl noch nicht klar ist, welches Thema zu der Zeit überhaupt unterrichtet wird, geschweige denn wie die Unterrichtsstunde aussehen wird. Es gilt Aufgaben der Haupt- und Fachseminare zuhause zu bearbeiten, sich neue Plattformen (Adobe connect, Zoom, Jitsi.meet, Sway, Learning View, Padlet etc.) völlig selbstständig anzueignen und ständig auf dem neuesten Stand zu bleiben. Hinzu kommen die 3 E-Mailadressen, die täglich 3-4 Mal überprüft werden, da es immer mal wieder neue Informationen geben kann.
Durch die Digitalisierung, die jetzt zur Corona-Zeit schleunigst in die Gänge geleitet werden musste, kam ebenfalls ein unglaubliches Arbeitspensum auf die Referendare zu. Es mussten sich Apps angeeignet werden, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört habe (Anton-App, Bettermarks, Padlet, etc.) und diese sollten so schnell es geht an die Schülerinnen und Schüler gebracht werden, durch selbstgeschriebene Anleitungen in Eltern- und Schülerbriefen.
Als es wieder mit Präsenzunterricht losging und Ansätze einer Unterrichtsplanung standen, gab es noch die Frage, woher man das Material nimmt, welches für die Umsetzung nötig ist (Plakate, Laminierfolien, farbige Kopien etc.) Es stellte sich heraus, dass ich zumindest an meiner Schule vieles davon aus eigener Tasche bezahlen musste. Mit einem Gehalt von 1300€ und monatlichen Fix-Ausgaben von 1000 Euro, ist es gar nicht so leicht noch Unterrichtsmaterial zu finanzieren. Natürlich wird gesagt, dass sich das Geld zurückgeholt werden kann über Steuern oder über die Schule. Aber das ist 1. Nicht so leicht, wie es klingt und 2. Musst du es erstmal vorlegen.
Ich habe jetzt ein halbes Jahr meine Erfahrung im Lehrerberuf machen können und könnte schon Bücher über die Dinge schreiben, die nicht gut laufen. Deshalb habe ich für mich entschieden aus dem Beruf auszusteigen und zurück in die freie Wirtschaft zugehen. Meine Gesundheit ist das höchste Gut, dass ich besitze und die lasse ich mir nicht durch verkorkste Strukturen nehmen.