Diese Zeilen stammen von einer Lehrkraft, die über die Seite „Deine Stimme“ anonym ihre Stimme zum Ausdruck bringt. Wenn auch Du Deine Meinung, Deine Geschichte, Deine Gedanken zum Lehrerberuf anonym mit uns teilen willst, tue dies auf dieser Seite: Deine Stimme.
Liebe Victoria,
danke für deine hilfreichen Beiträgen. Ich bin 26 Jahre alt und befinde mich am Ende meines Lehramtsstudiums. Das einzige, was noch aussteht, ist die Abschlussprüfung. Bei verschiedenen Praktika in der Schule habe ich immer gemischte Gefühle gehabt. Einerseits liegen mir die Kinder sehr am Herzen und es ist unglaublich schön, wenn man das Gefühl bekommt, ihnen wirklich im Leben helfen zu können auf ihrem Weg, selbstbestimmte Individuen zu werden. Das ist auch immer mein Anspruch an mich selbst (Fächer: Philosophie und Mathematik). Allerdings geht mit diesem Anspruch auch ein enormer Arbeitsaufwand einher. Ich will in meinen Unterrichtsstunden nicht FÜR MICH irgendwie die Zeit rumbekommen, sondern etwas für meine Schüler tun. Dafür brauche ich sehr viel Vorbereitung. Zwei Unterrichtsstunden am Tag sind meine Grenze. Wenn es mehr wird, geht das immer auf Kosten der Unterrichtsqualität und somit auf Kosten der Schüler.
Für mich erscheint es völlig unmöglich, 25 Stunden in der Woche GUTEN Unterricht zu halten. Dazu kommt, dass ich immer mehr merke, was für ein absurder Ort die Schule eigentlich ist. Gerade läuft mein letztes Praktikum. Und ich habe von Tag 1 an das Gefühl, vor den Scherben der Gesellschaft zu stehen. Schüler zeigen offenen Widerstand und rebellieren (meiner Meinung nach zu Recht) gegen unsinnige Lehrplanvorgaben und gegen eine Schulstruktur, die am ehesten einem Gefängnis gleicht. Und ich bin auf einmal in der Rolle des Gefängniswärters! Ich muss in meiner Rolle die Schüler zurechtweisen, muss sie eingliedern, muss sie formen. Dabei habe ich das Gefühl, sie für das System zurechtzubiegen, nicht in ihrem eigenen Interesse und vor allem nicht in MEINEM Interesse! Ganz im Gegenteil. Ich verabscheue das.
Ich bekomme starke Bauchschmerzen. In den ersten Tagen gehen sie noch am Feierabend weg, mittlerweile sind sie durchgehend. Abends versuche ich ein bisschen Ruhe in Meditation zu finden und mein ganz Körper kribbelt und juckt. In mir ist eine heftige innere Aufregung, als ob ein Krieg stattfinden würde. Ich muss mich ständig kratzen, an den Armen, an den Füßen, am Kopf. Ich bekomme überall Pickel und fühle mich unglaublich schlecht und elend.
Es ist, als ob ich die Einsicht „Der Lehrerberuf ist nichts für dich“ mit Gewalt zurückhalten will. Meine Eltern haben mir das Studium komplett finanziert. Vor allem das Mathestudium war unglaublich hart und ich habe viel dafür gekämpft und es mit vielen Tränen geschafft. Jetzt bin ich kurz vor dem Abschluss und alles in mir windet sich. Ich will diesen Beruf nicht! Nicht auf diese Art und Weise! Ich will so gerne Menschen helfen. Aber das passiert nicht in der Schule. In der Schule passiert das Gegenteil.
Als ich vor ein paar Tagen das erste Mal diese Gedanken hatte, ist folgendes passiert: Ich komme morgens ins Lehrerzimmer. Einer der Lehrer fragt in die Runde: „Ja, warum will man eigentlich Lehrer werden?“ Ich fühle mich fast ertappt, als könnte er meine Gedanken lesen. Mein Mentor antwortet: „Man hat den ganzen Tag frei, man muss nichts tun, man bekommt einen Haufen Geld, man hat die meisten Ferien.“ Ich habe laut gelacht. Es war ein zynisches Lachen, aber die Leute um mich herum waren viel zu abgestumpft, um das rauszuhören. Dann wurde mir klar: Er hat Recht. Er kümmert sich nicht groß um die Unterrichtsvorbereitung. Er ist voll drin im System und kümmert sich nicht groß um ideelle Ziele. Und dann gibt es eben diese ganzen tollen Belohnungen: Geld, Sicherheit, Ferien, Halbtagsjob.
Für mich spielen viel Geld und viel Urlaub aber keine Rolle. Ich will etwas Sinnvolles beitragen. Und ich sehe nicht mehr, wie ich das in diesem Beruf umsetzen kann. Für mich kristallisiert sich mehr und mehr die Entscheidung heraus, das alles hinter mir zu lassen. Am liebsten würde ich morgen nicht mehr hingehen. Dasselbe habe ich mir schon gestern gedacht. Und vorgestern. Und vorvorgestern…
Ich käme schon irgendwie klar. Aber meine Eltern würden sehr enttäuscht sein. Ich habe ihr Geld genommen und quasi 7 Jahre lang etwas gelernt, was ich jetzt nicht mehr machen will. Ich müsste mich damit abfinden als Versager zu gelten, zumindest erstmal. In der Familie würde es niemand verstehen. Und ich würde alle enttäuschen.
Außerdem weiß ich nicht, was ich jetzt machen soll, wohin mit mir. Soll ich morgen alles abbrechen, oder jetzt noch einen Monat durchziehen und dann die Abschlussprüfung schreiben? Es fällt mir so schwer, sieben Jahre hartes Studium wegzuwerfen. Noch schwerer fällt es mir, mich jeden Tag zur Schule aufzuraffen. Vielleicht kann ich es noch durchhalten für die letzte Zeit.
Du hast mir schon geholfen, mit den Tipps auf deiner Seite. Auch wenn sie sich auf Lehrer beziehen, die schon arbeiten, kann ich vieles auf meine Situation übertragen. Danke für deine Hilfe.
Liebe Grüße